MUSEUMSPROGRAMME - PRESSE

Mit Tempo Zeit verplempern

Chansons - Aus den wilden Zwanzigern: Die Berliner Sängerin Evelin Förster begeistert mit Liedern und Texten zur Nungesser-Ausstellung im Hessischen Landesmuseum in Darmstadt

Nachdem sich die Menschen halbwegs vom Ersten Weltkrieg erholt hatten, schien sich die Erde in Berlin immer schneller zu drehen. Folgerichtig trug die aktuellste der 148 Berliner Tageszeitungen von 1928 den Titel "Tempo" - sie erschien dreimal am Tag. Doch der Schriftsteller Marcellus Schiffer warnte: "Mit dem Tempo verplempern wir die schönste Zeit." Die Berliner Chanson-Sängerin Evelin Förster ist zwar erst 1955 geboren, aber sie verkörpert diese wilden Jahre bestens. Am Mittwoch besang sie im Rahmen der Nungesser-Ausstellung im Hessischen Landesmuseum den Kult, den Luxus und die Moden jener Zeit.

 

Evelin Förster hat für die mehr als hundert Zuhörer ein zweistündiges Programm zusammengestellt. Erich Kästner ist ebenso dabei wie Karl Kraus oder Kurt Tucholsky. Manche Erkenntnisse der wilden Jahre erscheinen uns zeitlos wie Erich Mühsams Schüttelreim: "Die Männer, welche Wert auf Weiber legen, tun dies meist der Leiber wegen."

 

Die Sängerin hat sich Nungesser-Blätter vorgenommen und mit Gedichten, Aphorismen sowie Chansons aus ihrem Repertoire kombiniert. Die Collagen erscheinen neben dem "Wald der Skulpturen" auf einer großen Projektionswand, während der Pianist Matthias Binner dezent begleitet. Die Grafiken passen dabei so perfekt zu Försters Vortrag, als sei Nungesser beauftragt worden, die Couplets zu visualisieren.

"Was soll ich anziehen?" die Frage bewegte nun nicht nur die Dame von Welt, sondern auch die Fabrikarbeiterin - zumindest an Sonntagen. Die neuen optischen Reize waren um so begehrter, je verschämter die Frau mit ihnen umging. Förster trägt witzig vor und erntet begeisterten Applaus wenn sie den Schönheitswahn thematisiert. Dazu würzt sie ihre Revue mit Originaltexten von Werbeanzeigen und gut gemeinten Kommentaren aus zeitschriften: "Eine Frau, die schön bleiben will, darf weder schwer arbeiten noch schwer denken.

 

Darmstädter Echo

 

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