MUSEUMPROGRAMME - PRESSE

Der Geist der Zwanziger strömt aus Nägeles Werken

Evelin Förster biete rundum amüsanten Abend mit Chansons und Texten, die sich um Bilder Reinhold Nägeles rankten

 

Eine großartige musikalische und literarische Führung durch die frühe Bilderwelt Reinhold Nägeles und das Leben in den Goldenen Zwanzigern gelang der Chansonette Evelin Förster bei einem besonderen Liederabend im gut besuchten Heinrich-von-Zügel-Saal zusammen mit ihrem Partner am Klavier, Jens-Karsten Stoll.

Die physikalischen Ursachen der Reibungswärme und ihre mitunter explosiven Folgen sind hinlänglich bekannt. In den ersten jahrzehnten des 20. Jahrhunderts rieben sich gewaltige Kräfte, die zu großen Umwälzungen innerhalb der westlichen und vor allem deutschen Gesellschaft führten. Kein historisches Ereignis hat solche abrupten Veränderungen bewirkt wie der Erste Weltkrieg. Dies zeigt sich besonders an der Geschlechterfrage, den müden Kriegsheimkehrern wurde die "Neue Frau" entgegengesetzt, die mit Bubikopf statt Grechtenzopf und kurzem Kleid auf der glühendheißen politischen Lava zwischen den zwei Weltkriegen tanzte.

Diese Zeit der Extreme, also die Jahre zwischen 1901 und 1935, hat es auch Evelin Förster angetan. Stilecht als Garçonne gekleidet, trug sie passend zu Radierungen Reinhold Nägeles Texte aus der damaligen Zeit und Chansons vor. Und weil es in der Beziehungskiste seit Adam und Eva knisterte, wurde die gleichnamige Radierung zum Anlass mal über "Das männliche Geschlecht" (Willy Dehmel und Franz Grothe) zu reflektieren.. "Zum Glück" heißt es darin "ist am männlichen Geschlecht noch etwas dran". Tja, meine Herren, das sollte es anatomisch wohl auch, nicht wahr? Die Suche nach dem richtigen "Typ" wird schnell zum typischen Reinfall und führt zu der tief schürfenden Erkenntnis, dass Typ und Champagner eigentlich nur eine Behandlung verdienen, nämlich von Anfang an kaltgestellt zu werden. Auf der anderen Seite gibt es ebensolche Grundsatzfragen, wie zum Beispiel der Schnurrbart oder nicht Schnurrbart, denn die sozialpolitischen Auswirkungen sind enorm, besonders in den Familienkreisen. Die Warnung Kurt Tucholskys vor Vollbärten sollte jede Frau ernst nehmen, man bzw. frau verhedere sich nur darin. Vielleicht aber auch ganz gewollt, was dann wieder zu dem heiligen Stand der Ehe führen soll. Die Radierung "Trauung im Blütenkelch" betont dies auf zartsinnige Weise.

Auch die Gedanken Cato Centorius zu Braut und Bräutigam werden der Schwere dieser Lebensentscheidung gerecht und kommen zum Fazit, dass verliebte Gefühle zwar nicht falsch seien, aber realistisches Kalkül in punkto Vermögenswerte doch besser sei.

Die "Raumpflegerinnen" Nägels machen geradezu bildhaft vor, welche sportlichen Vorzüge die Hausarbeit mit allen ihren Verrenkungen und Kraftanstrengungen hat, verhilft sie doch zu einem schönen, anmutigen Körper. Evelin Förster demonstrierte dies gekonnt unter dem Gelächter der Anwesenden. Hat frau sich dann mit Hilfe von ganz viel putzen die Traumfigur antrainiert und verfügt endlich über Blaue-Engel-Beine, dann darf sie entweder burschikos wie "E.R. à la Marlene" auf einen Stuhl lümmeln oder verrucht als Vamp mit Zigarette im Mundwinkel die Männerwelt beherrschen. Auch diesbezüglich gab es damals die passende Lektüre zu Schleuderpreisen wie: "Das rosarote Badezimmer", "Nächte der Venus" und "Venus in Seide". Gerade letzter Titel ist symptomatisch für die Relation von Frauen und Büchern. Es kommt zwar auf die Verpackung an, aber letztendlich doch mehr auf den Inhalt, schließlich will man(n) in beiden lesen können und dabei auf seine Kosten kommen. Apropos, Verhüllung. Der Ausgangspunkt aller Mode war das berühmte Feigenblatt, womit sich der Kreis um Adam und Eva wieder schließt.

Evelin Förster hat nicht nur eine klasse Stimme, so richtig geschaffen für boshafte Chansons, sie vermochte es zusammen mit Jens-Karsten Stoll auf gnadenlos überzeugende Weise, den Geist der Zwanziger Jahre mit seinen Frivolitäten schauspielerisch, musikalisch und literarisch an den Mann bzw. die Frau zu bringen. Kurz, es war ein selten amüsanter Abend mit Verve und Esprit.

 

Murrhardter Zeitung (pan)

 

<<< zurück zu Museumsprogramme