MUSEUMSPROGRAMME - PRESSE

So frech wie einst Marlene

"Erotisches zur Nacht" lockt Kunst- und Musikliebhaber in die Böblinger Zehntscheuer

 

Böblingen. Dass die Erotik auch bei Reinhold Nägele eine wichtige Rolle gespielt hat, zeigt eine Ausstellung in der Zehntscheuer. Evelin Förster hat das Sinnliche im Werk des schwäbischen Malers unter die Lupe genommen - mit Chansons aus den 20er und 30er Jahren.

 

Wie sucht man sich einen Mann? In Bars, beim Tanzcafé oder über Annoncen? Evelin Förster hat eine bessere Idee. "Haben Sie's schon mal mit einem Gebet versucht?" fragt die Chansonsängerin. sie offenbart, wie es geht: "Oh Schöpfer, nimm alle meine Rippen und gib mir einen Mann". Was wie eine zeitgeistige Art der Fürbitte für die Singlegesellschaft anmutet, ist schon über hundert Jahre alt. Heinrich Jägers "Gebet einer Jungfrau", das Evelin Förster auf Reinhold Nägeles Blatt "Adam und Eva" bezieht, erschien 1902 in den "Lustigen Blättern". Zurzeit ist es in der Böblinger Schau "Nägele und Naegele" zu sehen. Speziell dafür hatte die Schauspielerin und Sängerin ein programm aus Texten, Liedern und Gassenhauern zusammengemixt, mit dem Titel "Erotisches zur Nacht. Ein Fräulein beklagt sich bitter".

 

Und es ging von Beginn an zur Sache. Mit Friedrich Hollaenders Klassiker "Kinder, heut abend, da such ich mir was aus, einen Mann, einen richtigen Mann, der noch küssen will und kann" eröffnet die Berlinerin so frech wie einst Marlene Dietrich den Abend. Mit Verve begleitete sie den Pianisten Jens-Karsten Stoll. Was die echte Dame der frivolen Zwanziger, als in den Städten die Sittenkorsetts gelockert wurden, von den Männern forderte, erfuhren die begeisterten Zuhörer in der Böblinger Zehntscheuer. Inspiriert von Nägeles Selbstporträt "Selbst am Tisch sitzend" las Förster, was 1925 in den "Wiener Moden" unter dem Titel "Der elegante Herr als Partner" erschienen war und so manchem Macho die Wuttränen in die Augen trieb.

 

"Die freiwillige Unterwerfung des Mannes unter die Gesellschaft der Dame ist ein Zeichen von Kultur", hieß es da - ein Thema, das Evelin Förster beschäftigt, seitdem sie in Leipzig an der Fachschule für Musik ausgebildet wurde. Längst hat die 49-jährige mit der tiefen, volltönenden Stimme ein Archiv in dem neben Texten und Dokumentarischem allein 3000 Lieder aus den Jahren 1901 bis 1935 zu finden sind.

 

Die gebürtige Thüringerin singt über die Trends und den Tanztee, grübelt mit Max Colpets "Leerlauf der Gefühle" über die Einsamkeit der One-Night-Stands oder sinniert mit Hollaenders Hit "Ich weiß nicht, zu wem ich gehöre, ich bin doch zu schade für einen allein" über Beziehungskisten. Ihre Lieder und Texte sind ein kulturhistorisches Mosaik über die Zeit Reinhold Nägeles, dem dieser Blick auf seine Werke sicher gefallen hätte.

 

Stuttgarter Zeitung (Petra Mostbnacher-Dix)

 

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