EXILFORSCHUNG

Immer dann, wenn die Metropole Berlin in der Zeit der Jahrhundertwende bis in die frühen 1930er Jahren in Filmsequenzen vorgestellt wird, tauchen stereotyp Bilder von Kabaretts, Varietés und Revuen mit fliegenden Frauenbeinen ebenso auf wie Glitzer und Glamour und Jazzbands. Dazu ertönen meist Tonaufnahmen mit den Stimmen von Claire Waldoff oder Fritzi Massary. Insoweit sind viele Lieder dieser Zeit, die Chansons, die Gassenhauer, die Operettenmelodien – noch heute lebendig. Unbekannt hingegen sind die Biografien und Schicksale der meisten Künstler und Künstlerinnen, die auf den Bühnen standen und mehr noch derer, die diese Lieder schrieben und dafür die Musik komponierten. Sie avancierten zu Publikumslieblingen, denen die Herzen der Berliner zuflogen: Fritzi Massary, Richard Tauber, Mady Christians, Gitta Alpár, Grete Mosheim, Hermann Leopoldi, Paul Morgen. Sie sangen und interpretierten Lieder mit Texten von Beda (Dr. Fritz Löhner-Beda), Fritz Rotter und  Gezá Herczeg. Henry Love (eigentl. Hilda Löwie, genannt Hilde Löwe) schrieb Texte und komponierte z. B. den damals weltbekannten Song „Das alte Lied“, den Richard Tauber immer als Zugabe seiner Konzerte gab. Die in Berlin lebende Eddy Beuth schrieb Chansontexte für das Wiener Kabarett „Die Hölle“ in Vertonungen von Victor Hollaender und Bela Lásky; die Berlinerin Käthe Hyan sang im Wiener Kabarett „Fledermaus“, und Gisela Werbezirk trat im Wiener „Simpl“ auf und gastierte an Berliner Bühnen. Die aufgeführten Namen stehen hier exemplarisch – die Liste nennenswerter Namen ist allemal bedeutend länger. Das Leben dieser Künstlerinnen und Künstler änderte sich schlagartig nach dem Januar 1933. Die überwiegend jüdischen Künstler wurden sofort nach der Machtübernahme durch die Nationalsozialisten mit Berufsverbot belegt, verhaftet und in die Konzentrationslager deportiert, sofern es ihnen nicht gelang zu emigrieren. Die Biografien der Künstlerinnen und Künstler jüdischen Glaubens bergen vielfältige wie unbegreifliche Schicksale – das bedeutete Berufsverbot, Enteignung, Arbeitslager, Deportation, Ermordung, Suizid oder ein Leben im Versteck. Und das, obwohl sie im ersten Drittel des vergangenen Jahrhunderts maßgebend an der Hochblüte der Kultur in der Weltstadt Berlin beigetragen hatten! Sie alle sollten nicht dem weiteren Schicksal des Vergessens anheimfallen. Deshalb gilt es, immer an sie zu erinnern.